Brückenobjekte
Was haben Urlaubserinnerungen, das Lieblingskuscheltier, Souvenirs, Fotos und Autoaufkleber gemeinsam? Sie bauen Brücken. Zur Vergangenheit, zu anderen Orten, zu anderen Menschen, zu anderen Situationen.
Diese Dinge sind weit mehr als ihre sichtbare Funktion - oft haben sie nicht einmal eine sichtbare Funktion, einen erkennbaren Nutzen. Sie sind „verdinglichte Erinnerung“ und vermitteln zwischen dem Hier und Jetzt und einem Dort, Dann und Wer. Objekte können Brücken sein: Brückenobjekte.
Ich habe von Brückenobjekten das erste Mal bei Kindern gehört: Ein Kuscheltier als ständiger Begleiter erleichtert den Übergang von einem Ort zum anderen, das Loslassen von Personen zu einem bestimmten Zeitpunkt, z.B. wenn ein Kind in den Kindergarten gebracht wird und der Abschied von den Eltern schwerfällt. Brückenobjekte werden auch in der Trauerarbeit eingesetzt: Die Objekte sind emotional aufgeladen und erreichen Trauernde auf einer emotionalen Ebene, von der aus aktive Trauerarbeit geleistet werden kann. Brückenobjekte sind tröstlich, weil sie eine Verbindung zur Vergangenheit und zu anderen Situationen und Menschen herstellen. Dadurch erinnern sie daran, dass die Welt mehr ist als die aktuelle Situation, in der man sich befindet. Brückenobjekte können über lange Zeit gleich bleiben, wie das Lieblingskuscheltier oder das Lieblingskissen, sie können aber auch spontan entstehen und nur für einen Moment den Übergang von einer Situation in eine andere erleichtern. Die Muscheln vom Strand mit in die Wohnung nehmen, die Kastanien von draußen nach drinnen, die Stöcke aus dem Wald, den Wein aus dem Urlaubsort, der zu Hause nicht mehr so gut schmeckt. Aber das spielt keine Rolle - in ursprünglichen Moment erleichtert das Brückenobjekt den Übergang und sobald wir wieder voll in der neuen Situation angekommen sind, kann das Brückenobjekt - zumeist das spontane - seinen Zweck erfüllt haben und an Bedeutung verlieren. Je nachdem, wie stark das Brückenobjekt mit Emotionen aufgeladen ist, behalten und schätzen wir es länger oder kürzer. Einzigartig sind sie alle.
Ein Brückenobjekt vermittelt zwischen der Gegenwart und der eigenen Vergangenheit und stärkt so die eigene Persönlichkeit in einer Art aktiver Erinnerungsarbeit, zum Beispiel in Form von Fotos oder Souvenirs.
Ein Brückenobjekt kann auch zwischen Menschen vermitteln: Indem ich ein persönliches Geschenk mache oder ein Gastgeschenk mitbringe, drücke ich Respekt und Dankbarkeit gegenüber der beschenkten Person aus. Das Geschenk kann ein persönlicher Ausdruck der schenkenden Person sein oder von der Beziehung zwischen Menschen erzählen.
Ein Potential des Brückenobjekts ist, dass wir jederzeit alles zum Brückenobjekt „aufladen“ können: Der Stein auf dem Weg. Ein Foto. Ein Kissen. Ein Notizzettel.
Die Methode des Brückenobjekts funktioniert, weil wir Menschen mit Emotionen und einem erstaunlichen Gehirn sind, das unglaublich viele Verbindungen herstellen und sich erinnern kann. Wir sollten Brückenobjekte als eine niedrigschwellige Ressource sehen, auf die wir in vielen Situationen - Abschied, Veränderung, Neubeginn, Feier - zurückgreifen können und so jederzeit eine Verbindung zu Menschen, Orten und Momenten herstellen können. „Das Alltagsding wird zum Wunderding“, sagt Ulrich Raulff, Direktor des Deutschen Literaturarchivs in Marbach, - das ist das Potenzial von Brückenobjekten.