Gewohnheit und Gestaltung

Wüste bei Suez, im Hintergrund große Industrieanlagen

Das Auto fährt über die sechsspurige Autobahn, links und rechts öffnet sich der Horizont als Collage aus braun-ocker-gelben Gebäuden und Erde. Kein Grashalm. Darüber spannt sich der blaue Himmel. Der Übergang zwischen Erde und Himmel ist fließend, denn über dem Boden hängt eine Luftschicht (Smog?) wie leichter Nebel. Die Luft ist trocken und warm. Manchmal sieht man das Rote Meer im Hintergrund. Dazwischen erheben sich die steinigen Berge der Landschaft, eine unendliche Dichte von Geröll und Sand. Wir fahren durch die Wüste, südöstlich von Kairo in Richtung Ain Sokhna.

 

Gewohnheit ist wie Architektur: statisch. Was uns tagtäglich umgibt - Größen, Farben, Formen, Verhaltensweisen - wird Teil von uns selbst und wird oft nicht mehr explizit wahrgenommen. Ein Aufenthalt in einer anderen Umgebung, ein “Tapetenwechsel”, erweitert nicht nur das Wissen über andere Kulturen und Regionen, sondern macht uns auch unsere eigenen Gewohnheiten bewusst.

Ein mehrtägiger Aufenthalt in Ägypten hat mir gezeigt, wo meine Gewohnheiten in Bezug auf den uns umgebenden Raum bereits statisch geworden sind.

“Enormicity” - der Umgang mit Fläche

Ägypten ist ein großes Land, das zum größten Teil aus Wüste besteht. Während die Bevölkerungsdichte in den Städten hoch ist, ist die Wüste weitgehend unbebaut. Derzeit wird sie buchstäblich bezwungen. In scheinbar endlosen Weiten wird gebaut, in (für Europäer) unvorstellbaren Flächenausdehnungen entstehen Infrastruktur wie Straßen, Schienen und vor allem Wohnhäuser und neue Städte. Das neue ägyptische Museum - das Grand Egyptian Museum - ist so groß, dass man es kaum mit einer Kameralinse ins Bild bekommen kann. Aber was erwartet man von dem Land, in dem die Pyramiden von Gizeh stehen? Am neuen Regierungsviertel in Kairo fährt man mit dem Auto kilometerweit vorbei, ohne dass Anfang und Ende erkennbar wären. Sowohl die neuen Stadtviertel in Kairo als auch die Planstädte, die in der Suez-Region entstehen, erwecken den Eindruck, dass man in die Wüste baut und doch nur Wüste produziert. Aber im Unterschied zu Neubauprojekten in Europa wird hier kein Wald gerodet, kein Fluss aufgestaut, kein Ackerboden versiegelt, sondern Wüste urbanisiert. Und auch wenn es weh tut: Ich bin fasziniert von diesem rohen, selbstbewussten Umgang mit Fläche und meine Gedanken, die viel mehr von deutschen Baudetails bestimmt sind, weiten sich. 

Wüste zwischen Kairo und Ain Sokhna

Autonomie - der Umgang mit Regionalität

Während wir an deutschen Hochschulen in den architekturbezogenen Studiengängen lehren und lernen, klimagerecht zu bauen und auf die Besonderheiten des Ortes einzugehen, hatte ich dort den Eindruck, dass eher die Autonomie von der Umgebung angestrebt wird. Während sich die Altbauten im historischen Stadtkern durch eine klimaangepasste Architektur auszeichnen, z.B. durch die Mashrabiyya, stehen die neueren Gebäude selbstbewusst mit großflächig verglasten Fassaden ohne außenliegenden Sonnenschutz in den Ortschaften. Der regionale Bezug scheint vor allem in der Farbigkeit der Fassaden und der Größe der Gebäude zu liegen. Es entsteht auch der Eindruck, dass die Gebäude auf ihre monumentale Erscheinung hin entworfen wurden, gleichzeitig aber eine starke Trennung zwischen Innen und Außen besteht. Die Außenräume bieten wenig Aufenthaltsqualität und attraktive Plätze. Auch im Inneren der Gebäude gibt es kaum Bezüge zum Außenraum. Das vielleicht modernste Detail mit deutlichem regionalem Bezug sind die Mobilfunkmasten mit Plastikpalmenwedeln an der Spitze ;-). Gleichzeitig wird der Architekt Hassan Fathy verehrt, der sich besonders dadurch auszeichnet, dass seine Bauten eng mit den regionalen, sozialen und klimatischen Bedingungen verwoben sind. Seine Projekte zielten immer darauf ab, eine möglichst adäquate architektonische Antwort auf die Gegebenheiten vor Ort zu finden. Vielleicht ist aber auch gerade die gestalterische Abgrenzung von diesem Architekten ein Zeichen für das Streben nach Eigenständigkeit - in der Gestaltung und in der Geschichte.

Dass eine zeitgemäße Interpretation gelingen kann, zeigt die American University in Cairo, wo ab 2001 ein fantastischer Campus entstand, der die Farbigkeit, das Klima und die Formensprache der Architektur des Landes aufgreift, neu interpretiert und attraktive Lernorte im Innen- und Außenraum entstehen lässt.

Monotonie - der Umgang mit Gleichförmigkeit

Monotonie scheint für die Planungsverantwortlichen in Ägypten kein Thema zu sein. Stadtplanung in Deutschland ist geprägt vom Arbeiten im Bestand, von Festsetzungen in Bebauungsplänen und Planänderungsverfahren, die sich über Jahre und Jahrzehnte hinziehen können, von aufwändigen Wettbewerben und intensiven Bürgerbeteiligungsverfahren. Alle Schritte zielen darauf ab, lebendige, vielfältige Quartiere zu schaffen, die unterschiedlichen Menschen gerecht werden und viele Orte bieten, die langfristig attraktiv und anpassungsfähig sind. Ganz anders der Ansatz in Ägypten: Weil innerhalb weniger Jahre vielen Menschen neuer Wohnraum zur Verfügung gestellt werden soll, wachsen in wenigen Jahren Retortenstädte im Megamaßstab aus dem Boden, die in ihrer Entstehung kaum Individualität, Lebendigkeit, Vielfalt ausdrücken. Sondern schlicht Masse, Monotonie, Modernität. Kilometerlange uniforme Wohnblocks, die zumeist (noch) unbewohnt sind, denen aber die Reizdichte fehlt, die Spannung, das Spiel mit Enge und Weite, mit Hoch und Tief, mit Material, mit offenen und geschlossenen Flächen. Vieles von dem, was wir in der Architektur umsetzen wollen, ist dort nicht zu sehen. Und doch sieht man es hier: Menschen machen Monotonie lebendig. Das Leben wird in die Viertel einziehen, sobald Menschen die Gebäude bewohnen. So ist es in der Vergangenheit mit anderen Stadtteilen in Kairo geschehen. Hoffen wir, dass es auch für die zukünftigen Planstädte wahr wird. 

Bildercollage aus dem Archiv über Hassan Fathy an der Galala University

Dieser andere Umgang mit dem gebauten Raum löst Irritationen aus. Und das ist gut so, denn dadurch werden unsere kristallinen Strukturen in Kopf und Gefühl fließender. Und wir brauchen diese Erlebnisse, denn sie fördern die Offenheit für Neues. Und auch wenn Statik in der Architektur unverzichtbar ist, ist sie kein Modell für eine lebendige, sich verändernde Gesellschaft.

Blick auf die Stadt Kairo bei Sonnenuntergang; rechts der Cairo Tower




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